Die Prüfung

Viel Wind um Nichts

Genervt starrte Andreas auf die Uhr über dem Kühlschrank.
Unerbittlich schob diese die Zeit voran. Als wolle sie ihm zeigen, wer Herr über diese ist.
Er stürzte den letzten Schluck des rostbraunen Gebräus in seinen Rachen. Wie gern hätte er einen frisch gebrühten Kaffee geschlürft mit seiner allmorgendlichen Zeitung. Das letzte Bier mit seinen Kumpels war dann doch eines zu viel und der monatliche Horrorfilm in seinem Heimkino etwas zu langatmig.
Er stellte die Tasse zwischen das Chaos auf der Spüle und huschte in das Badezimmer, überprüfte den Sitz seiner Krawatte und sprühte erneut Haarspray in seine schon gestylten Haare. Alles passte perfekt. Er war überzeugter Perfektionist.
Fluchtartig verließ er die Wohnung und knallte die Türe hinter sich zu.
„Verdammt“, fluchte er.
Sein Hausschlüssel lag noch auf der Kommode im Flur.
Er stöhnte und ging Richtung Aufzug. Um das Problem wollte er sich dann gegen später kümmern. Er rief den Aufzug, als er das Schild Außer Betrieb bemerkte. Das kann es aber nicht wahr sein, brummte er. Flink wie ein Wiesel betrat er das Treppenhaus und rutschte mehr oder minder die Treppen Richtung Parkhaus hinunter.
Sein Flitzer stand etwas abseits in einer angemieteten Parkbucht. Dunkelblau stand der Citroën da. Wie ein Diamant im Mondlicht funkelte dieser und die Neonleuchten an der Decke spiegelten sich makellos im Hochglanz poliertem lack.
Andreas grinste zufrieden über beide Ohren hinweg.
Den Luxus eines eigenen Parkplatzes lies er sich jeden Monat eine Stange Geld kosten. So konnte er sicher sein, dass sein Wagen immer am richtigen Platz stand. Gezielt griff er in sein Geheimversteck, wo er den Ersatzschlüssel deponiert hatte. Hastig rutschte er auf den Fahrersitz, stellte jede Pobacke so ein, das diese an der richtigen Stelle platziert war und fuhr los.
Zum Glück waren die Straßen um diese Zeit weitgehend frei, so dass ein zügiges Durchkommen möglich war. Mit Graus dachte er, wie sie in vierzig Minuten aussahen.
Die Ampel schaltete auf Grün.
Er trat das Gaspedal voll durch, als wolle er einen Kickstart hinlegen, um Frauen, welche am Straßenrand standen, zu imponieren.
Plötzlich verstarb der Motor mit einem lauten Keuchen. Andreas wurde unsanft in seinen Sicherheitsgurt gepresst. Ein Schmerz durchzuckte seine linke Schulter. Aus einem Augenwinkel sah er wütende Autofahrer an sich vorbei huschen. Ein Fahrer aus einem weißen Audi zeigte ihm den mit einer Geste auf die Stirn, was er von ihm hielt. Hupend und mit gezeigtem Mittelfinger umrundeten ihn weitere Verkehrsteilnehmer.
Die Welt um Andreas schien in diesem Moment still zu stehen. Wie in Zeitlupe tastete er nach dem Gurtlöser. Er betätigte ihn und sein Sicherheitsgurt schnellte laut klatschend gegen die Scheibe. Krampfhaft umklammerte er mit der anderen Hand erneut das Lenkrad und wischte sich die Wut aus dem Gesicht. All das durfte nicht wahr sein. Er kam ihm vor, als wäre er heute Morgen in einem dieser schlechten Hollywood Streifen aufgewacht, wo die Schauspieler Laien waren und die Synchronisation Grotten schlecht. Erst letzte Woche war er bei einem Kunden. Der Weg dorthin verlief mal gar nicht nach Plan. Ein Stau zwang ihn, einen größeren Umweg einzuschlagen. Und ausgerechnet an diesem Tag musste er auch noch einen dieser chinesischen Kopierer reparieren. Als Informationstechniker im Außendienst hasste er diese Dinger. Und dann war da diese Sekretärin. Mit ihrem makellosen Gesicht, in dem blaue Augen glänzten und das blonde Haar streng zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Sie bot ihm einen dieser Sekretärinnen-Kaffees an und er konnte nicht Nein sagen. Er hatte eh das Gefühl, als wolle sie es mit ihm sofort auf dieser Kopiermaschine treiben. Ok, er war Mitte vierzig. Aber immerhin gepflegt und sein Bart hatte grundsätzlich eine Länge von maximal drei Tagen. Obwohl er in das Klischee eines Rockers passte, achtete er stets auf sein Äußeres.
Und dann passierte das, was passieren musste. Kaffee lief in die sündhaft teure Maschine und quittierte das feucht fröhliche Vergnügen mit einer gewaltigen Explosion. Seine Prinzipien hatte er an diesem Tag gebrochen. Heftig schüttelnd, als ob er in der Arktis wäre, versuchte er diese negativen Gedanken zu loszuwerden. Konzentrier dich auf das, was du heute vorhast.
Als kein weiteres Auto seinen C2 streifen konnte, stieg er aus. Er rannte auf die andere Straßenseite. Ein Pulk aus Fußgängern kam ihm entgegen. Behände huschte er durch die Menge und hätte beinahe eine ältere Dame umgerannt. Sie schimpfte ihm wie ein Rohrspatz hinterher, wie ungehobelt die heutige Jugend sei. Noch zwei weitere Straßenzüge und er war an der Haltestelle. Gerade rechtzeitig enterte er die Straßenbahn und die Türen verriegelten und polternd hinter ihm.
Mit einem Ruck fuhr die Straßenbahn los. Gerade so konnte er nach einer der Haltestangen greifen. Der Mann neben ihm hatte nicht so viel Glück und viel fluchend zu Boden. Eine Orange kullerte quer durch das Abteil, direkt vor die Füße eines Jungen. Grinsend hob er diese auf und stopfte sie in seinem Rucksack. Fahrgäste nickten unfreiwillig mit ihrem Kopf und ein Raunen der Empörung ging durch das ganze Abteil. Er grinste schadenfroh und sah dabei aus wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland.
„Fahrkartenkontrolle“, brüllte der Schaffner der urplötzlich im Abteil stand.
Schlagartig war es ruhig. Der Kontrolleur stapfte zielstrebig auf Andreas zu.
Klick Klack.
Der Schaffner spielte mit seiner Zange, welche versuchte, wie ein wildes Raubtier nach seiner Beute zu schnappen.
Klick Klack.
Andreas lief rot an.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
Hastig durchsuchte er seine Taschen, in der Hoffnung seine Monatskarte zu finden. Nur sie war nirgends. Er signalisierte seinem Gegenüber noch etwas Geduld walten zu lassen. Der Schaffner schaute Andreas nur grimmig entgegen und spielte weiterhin mit seiner Zange herum. Nach wenigen Sekunden, die Andreas wie Minuten vorkamen, fingerte er seine Monatskarte aus der Innentasche des Jacketts heraus.
Der Schaffner nickte zufrieden und wann sich dem nächsten Fahrgast zu. Er schaut auf seine Armbanduhr, noch drei Haltestellen und der hatte sein Ziel erreicht.
Als die Bahn endlich hielt verließ er fluchtartig diese, rannte durch den städtischen Park auf das Gebäude zu, welches seit heute Morgen sein Ziel gewesen war. Wie jemand, der den Schlussverkauf nicht verpassen wollte, stürmte er in die Eingangshalle. Mit großen Augen schaute ihn die Dame hinter dem Empfangspult an.
»Ja bitte? Wie kann ich ihnen helfen?«, fragte die Brünette Empfangsdame hinter dem Thresen.
Komplett außer Atem versuchte Andreas, etwas zu sagen. Es gelang nicht. Stattdessen stammelte er irgendetwas unverständliches und der Gesichtsausdruck der Empfangsdame spiegelte der Argwohn wieder.
Sah er so schrecklich aus? Er fächerte sich Frischluft zu.
»Ich hab heute einen Prüfungstermin«, stammelte er.
»Wie ist denn ihr Name?«
»Andreas Close. Close mit C. Ausbildereignung, Prüfung heute.«
Er schaute auf seine Armbanduhr.
Zehn Minuten.
Er war Zehn Minuten zu spät.
»Können sie sich ausweisen. Herr …«, sie blätterte in einer Liste, die vor ihr lag,
»Herr Close? Richtig?«, fragte sie, während sie Andreas argwöhnisch musterte.
»Nein. Kann ich leider nicht. Ich glaube, der liegt noch im Auto«, antwortete Andreas.
»Ohne Ausweis kann ich nicht nachsehen, ob Sie heute Prüfung haben.«
»Jetzt hören Sie mal zu Fräulein. Ich habe heute schon einen beschissenen Tag hinter mir. Es wird ja nicht so schwer sein, kurz in Ihrer verdammten Liste nach zu sehen, wo ich heute zur Prüfung hin muss«, schrie er sie an.
»Mein Herr - ohne Ausweis kann ich sie eben nicht finden und zur Prüfung zulassen«, entgegnete sie gelassen.
»Da kann ja jeder kommen. Wir haben hier unsere Prinzipien.«
Entnervt verdrehte er die Augen und schlug mit der Faust auf das Pult. Es hallte durch die gesamte Empfangshalle.
»Ah - Herr Close. Was ist los? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte jemand hinter ihm.
Andreas wandte sich um und sah den Direktor der Schule auf ihn zukommen.
»Ja - diese Dame da …«, stammelte er, »… unfähig …«
»Frau Berger. Wo liegt das Problem? Ich kenne Herrn Close persönlich«, fragte er, als er direkt neben Andreas stand.
»Dieser Herr hier - Herr Close«, sie zog seinen Namen verachtend in die Länge, »meint heute eine Prüfung ablegen zu wollen - aber ohne Ausweis kann ich …«
Mit einer Handbewegung unterbrach der Direktor sie.
»Schauen Sie bitte nach, Frau Berger.«
Sie nickte zustimmend und lies einen ihren Finger, über die Liste wandern.
»Nein, ein Herr Close mit C steht nicht darauf«, antwortete sie.
Andreas und der Direktor schauten sich verständnislos an.
»Moment! Da ist eine Notiz. Die Prüfung ist erst nächste Woche. Eine Information wurde Herrn C. zugesandt.«
Sie blickte auf und grinste Andreas hämisch an.

ENDE


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